Sind wir zu streng zu uns?

Ist es nicht so, dass wir oft unsere schärfsten Kritiker sind?

Ständig machen wir uns kleiner als wir sind.

Bei allen Mitmenschen zeigen wir Geduld und Verständnis, jedoch geht es um uns selbst, verurteilen wir uns gerne.

Das haben wir irgendwie gelernt.

Wir genügen unseren Anforderungen kaum.

Die eigene Messlatte stecken wir hoch.

Allerdings liegt es an uns, diese Maßeinheiten selbst auszurichten.

Ich gehöre auch zu den Selbstzweiflern.

Mit fortschreitendem Alter werde ich jedoch nachsichtiger mit mir.

Ein gesundes Maß an Selbstzweifel lässt uns wachsen.

Doch es kommt auf die richtige Dosis an.

Diese Gedanken wälze ich nun nach einem ausgiebigen Gespräch mit einer ziemlich perfektionistischen Person. Alles ist geplant und ein Lebenskonzept nach einer märchenhaften Vorstellung wurde schon in frühen Jahren erstellt. Dazu gehören: Eine glückliche Familie, erfolgreich im Job und eine schöne Außenfassade. Das Bild dieser Vorstellung soll erreicht werden, doch nun kommt vieles anders als erwartet.

Der Plan kann aus verschiedenen Gründen nicht eingehalten werden.

Selbstzweifel sind die Folge.

Auch ein Gefühl des Versagens ist spürbar.

Wir alle sind eben nur Menschen und das Leben ist kein Ponyhof.

Manchmal schlagen wir Wege ein, die nicht vorhergesehen sind und sich von den Traumbildern weit entfernen. Trotzdem geht es nicht anders. Überhaupt, wenn man den Schein selbst nicht mehr glauben und schon gar nicht leben kann.

Deswegen dürfen wir uns ehrlich fragen:

Ist uns der Erfolg im Job das Leben wert, welches an diesen Kraftakt gebunden ist?

Hat eine glanzvolle Außenfassade diese Aufmerksamkeit, verbunden mit den Anstrengungen und Mühen, verdient?

Darf die Aufrechterhaltung von Freundschaften und Beziehungen eine massive Verrenkung unseres Rückgrats erfordern?

Müssen wir es allen recht machen und dabei auf uns selbst vergessen?

Ist es notwendig, dass wir immer verständnisvoll, zuvorkommend und geduldig sind oder dürfen wir eine Grenze ziehen?

Diese Fragen können wir uns stellen, um Klarheit zu bekommen.

Hier dürfen wir unsere Vorstellungen beleuchten und ehrlich beantworten.

Sind viele dieser selbst erstellten Anforderungen nicht nur oberflächliche Werte, um ein gutes Bild von uns zu zeigen?

Oft suchen wir bei der Erfüllung dieser Träume nur Bestätigungen von außen.

Die Antworten kommen leider nicht von uns selbst, sondern wir erwarten diese von unseren Mitmenschen.

Wir kennen doch solche Gedanken wie: „Ich mach ja eh immer alles und bemühe mich stets, allerdings bekomme ich keine Anerkennung.“

Blöderweise nicht mal von uns selber. 

Wir müssen uns kennen, um für uns auch Verständnis zu haben.

Dann verurteilen wir uns vielleicht auch nicht immer selbst oder zumindest weniger.

Wir haben alle unsere Fehler und sind perfekt unperfekt.

Die Bandbreite der Menschen ist vielseitig und auch die Lebensgestaltung darf dies sein.

Dass wir es nicht allen recht machen können ist sowieso klar.

Deswegen sollten wir versuchen so zu leben, dass wir mit uns selbst zufrieden sind.

Dass wir so handeln, um am Ende des Tages in den Spiegel blicken zu können.

Wir dürfen dabei geduldig mit uns selbst sein. So wie wir es oft mit unseren Kindern, Partnern, Freunden, Arbeitskollegen etc. sind. Manchmal machen wir uns Gedanken über unsere Handlungen und Reaktionen im Nachhinein. Und meist sind diese nicht mal ansatzweise einen Gedanken wert.

Habe ich heute passend reagiert?

War meine Wortspende angemessen?

Habe ich halbwegs adrett ausgesehen?

Hat mein Einsatz gereicht?

War das Workout genug und habe ich mein Bewegungsziel erreicht?  

All das und noch viel mehr kann uns im Nachhinein beschäftigen.

Allerdings haben diese Fragen unser Umfeld nicht mal gekratzt, wahrscheinlich nicht mal gekitzelt.

Wir dürfen uns eingestehen, dass wir da etwas über das Ziel hinausschießen mit unserer strengen Selbstanalyse.

Meist bemühen wir uns.

Wir erledigen unsere Aufgaben recht gut.

Ab und zu misslingt uns etwas, aber das ist menschlich.

Fehler passieren und können im Nachhinein vielleicht ausgebügelt werden und wenn nicht – dann lernen wir daraus.

Außerdem dürfen wir davon ausgehen, dass auch unsere Mitmenschen verständnisvoll und geduldig mit uns sind, so wie wir eben auch mit ihnen.

Meist sind es sowieso nur ein paar Menschen in unserem Umfeld von denen wir uns Verständnis wünschen, denn alle anderen spielen eher eine Nebenrolle und dürfen vernachlässigt werden.

Auch wir müssen nicht für alles und jeden Verständnis haben.

Es gibt Einstellungen und Verhaltensweisen, die verstehe ich nicht – Punkt. Wenn meine Werte, nach denen ich zu leben versuche, von anderen gröblich missachtet werden, dann muss ich das nicht verstehen.

Das ist Ehrlichkeit und auch Wertschätzung mir selbst gegenüber.

Ich möchte mir treu bleiben, das heißt aber nicht, dass ich mich nicht verändern darf. Was gestern eventuell richtig war, darf heute hinterfragt werden.

Dabei kann es passieren, dass dies nicht mehr in unser Weltbild passt, denn wir entwickeln uns weiter.

Im Grunde geht es um Selbstakzeptanz und dafür sollte ich mich mögen.

Schön, wenn ich bei einigen Menschen auf Verständnis treffe und die mich akzeptieren, vielleicht sogar mögen, so wie ich bin. Aber das müssen nicht alle.

Ich versuche trotzdem sozial zu agieren und bemühe mich ein wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft zu sein. Daher muss mich eine Ablehnung von außen auch nicht treffen. Wenn ich mit mir halbwegs im Reinen bin, mich akzeptiere mit all meinen Vorzügen, Schwächen und Fehlern, dann bin ich nicht abhängig von der Meinung, die sich in meinem Umfeld bildet.

Sich selbst kennenzulernen ist gar nicht so einfach. Denn das heißt auch die Unzulänglichkeiten anzusehen und schlussendlich zu akzeptieren.

Dann können wir uns einordnen und vieles an uns verstehen. Wir wissen vielleicht sogar, warum wir so sind, kennen den Ursprung mancher Reaktionen sowie Verhaltensmuster und wissen in welcher Ecke diese gespeichert sind.

Dies ist mehr als Oberflächlichkeit – das ist echtes Leben.

Und dies entspricht nicht einem vorgefertigten Bild. Auch wenn wir uns selbst gerne als das gütigste, herzlichste Sonnenwesen sehen möchten, sind wir das nicht immer.

Da hilft es auch nicht, wenn wir uns noch so viele „sei glücklich und immer positiv“ Bücher reinziehen, um uns eine schöne Trallala-Welt vorzugaukeln.

Das entspricht leider nicht der Realität und keineswegs echtem Leben.

Oder wenn wir uns vermeintlich „vorbildlichen“ Gruppen anhängen, um deren Gedanken und Floskeln nachzuplappern, damit wir dazugehören, ist das nicht unbedingt echt. Wir können uns dadurch wichtig fühlen, jedoch sind wir in Wirklichkeit fremdbestimmt. Diese Dynamik dient eher einem Zugehörigkeitsgefühl. Oft, um sich dann besser zu fühlen, denn man ist ja gestärkt durch seine Mitstreiter.

Gemeinschaft kann ja auch verbindend sein, aber trotzdem darf jeder ein eigenständiges Individuum bleiben.

Alles andere ist Anpassung.

Ich kann immer und zu allem meine eigene Herangehensweise haben, egal was mir eine Gruppe sagen möchte, denn ich habe meine Vorstellung vom Leben.

„Ich möchte dazugehören“, hat nichts mit Selbstliebe zu tun.

Wenn ich mich selbst lieben möchte muss ich mich erst kennenlernen.

Das ist ein Prozess und nicht immer lustig.

Manches mögen wir nicht an uns selbst. Wir hadern eventuell sogar, jedoch gehören auch diese Teile zu uns. Wenn ich das weiß, dann versteh ich mich und vermag liebevoll über so manche Unzulänglichkeit hinwegsehen.

Ich kann über mich selber lachen.

Darf mir in manchen Situationen leidtun, jedoch auch mit mir zufrieden sein. Ich kann mir Fehler eingestehen und mag mich trotzdem.

Denn am meisten Zeit verbringe ich im Leben schlussendlich mit mir.

Da kann es nicht schaden, wenn ich mir selbst sympathisch bin.

Deswegen sollten wir auch verständnisvoll mit uns umgehen und uns nicht bei jeder Gelegenheit wie ein Scharfrichter verurteilen.

Selbstliebe ist ein guter Grundstein für Nächstenliebe.

Diese ist dann nicht nur in schönen Büchern zu finden, sondern könnte auch gelebt werden.

 

Schaden kann es nicht…

 

 

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2 Gedanken zu „Sind wir zu streng zu uns?

  1. Hallo,
    in diesem Text finden sich viele Frauen …….sehr treffend…….die Generation (50+) ist noch mit so vielen „Glaubenssätzen“ erzogen worden, aber es liegt an uns, sich davon zu befreien……..
    Selbstliebe ist nicht Egoismus !!!!!!! (das zu erkennen ist für viele Frauen glaube ich das Schwierigste)
    Aber wie du es so treffend formulierst, wir entwickeln uns weiter, was gestern stimmig war, muss heute
    nicht mehr passen ……
    Freue mich auf deinen nächsten Beitrag….
    Deine treue Leserin
    Elisabeth

    1. Herzlichen Dank, liebe Elisabeth. Ja, ich vermute auch, dass viele Frauen unserer Altersgruppe so eine Einstellung noch mit der Muttermilch aufgesaugt haben dürften. Aber wir entwickeln uns weiter – das ist schön!
      Liebe Grüße 🙂

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